Gut Ding will Weile haben – wer hätte gedacht, dass dieses bekannte Sprichwort auch auf eine bestimmte Form der Arzneimitteleinnahme zutrifft? Und doch ist es so: Retardtabletten wirken nicht sofort, sondern über den Tag verteilt. Aber bringt die verzögerte Wirkstofffreigabe auch Nachteile mit sich? Und was müssen Patienten bei der Einnahme beachten? Im folgenden Blogartikel erfahren Sie es.
Hintergrund: Was sind Retardtabletten?
Retardkapseln bzw. Retardtabletten unterscheiden sich durch ein entscheidendes Merkmal von anderen Arzneimitteln: Der Wirkstoff wird kontinuierlich und verzögert über eine längere Zeitspanne freigegeben. Der Zeitpunkt, der Ort im Körper und die Geschwindigkeit der Wirkstofffreisetzung wird durch galenische Maßnahmen exakt festgelegt. Typische Maßnahmen, mit denen Retardtabletten bearbeitet werden, sind:
- Polymerüberzug
- Beschichtung mit einem Reservoir im Tablettenkern
- Harte, wirkstoffhaltige Retardkügelchen, die nach dem Auflösen der Kapselhülle im Magen ihre Wirkung entfalten
- Bindung des Wirkstoffs an Ionenaustauscher
- Orale osmotische Systeme
- Verzögerung durch Diffusionsbarrieren
- Einbettung in eine Matrix
- Multiple-Unit-Pellet-Systeme, bei denen das Medikament vom Patienten in ein Wasserglas getan und anschließend getrunken wird
Vorteil: stabile Plasmakonzentration
Hinsichtlich des zeitlichen Verlaufs der Freisetzung werden verschiedene Methoden unterschieden. Als Anwender erkennen Sie die Art der Methode an der Beschriftung bzw. an der Bezeichnung Ihrer Retardtabletten auf deren Verpackung. So steht MR beispielsweise für Modified Release (veränderte Freigabe), SR für Sustained Release (anhaltende Freigabe) und CR für Continuous Release (kontrollierte, gleichmäßige Freigabe). Unabhängig von der Art der Freigabe zeichnen sich alle retardierten Arzneimittel durch einen zentralen Vorteil aus: Sie verhindern, dass Ihr Körper die gesamte Wirkstoffdosis auf einmal aufnehmen muss und es somit zu Konzentrationsspitzen kommt. Gerade bei einer Dauermedikation ist dies ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Statt eines Auf und Abs lässt sich eine stabile, gleichbleibende Konzentration des Wirkstoffs erzielen. Das Risiko von dosisabhängigen Nebenwirkungen verringert sich dadurch deutlich – Stichwort Magenprobleme. Bei opioiden Schmerzmitteln kann zudem das Missbrauchspotenzial gesenkt werden – das Mittel wirkt aufgrund der Retardierung nicht mehr berauschend, sondern nur schmerzstillend.
Therapietreue steigt durch seltenere Medikamenteneinnahme
Für Patienten, die jeden Tag mehrere Medikamente einnehmen müssen, sind Retardtabletten eine sinnvolle Option. Statt mehrmals täglich muss das betreffende Medikament lediglich einmal eingenommen werden. Dadurch steigt die Bereitschaft des Patienten, die Therapie tatsächlich wie abgesprochen durchzuführen. Außerdem verringert sich die Gefahr, dass der Patient aus Versehen die Einnahme einer Dosis vergisst. Gerade in mehrstöckigen Wohnungen mit einem Treppenlift ist die verringerte Einnahmefrequenz eine willkommene Alternative – insbesondere wenn sich der Medikamentenschrank in einem anderen Stockwerk befindet als der gewöhnliche Aufenthaltsort des Patienten. Grundsätzlich gilt: Sprechen Sie Ihren Arzt darauf an, ob es das Medikament, welches Sie einnehmen müssen, als Retardtablette oder -kapsel gibt. In vielen Fällen ist dies der Fall. Allerdings sollten Sie sich dabei auch die potenziellen Nachteile von Retardmedikamenten vor Augen führen
Retardtabletten Nachteile: Sie eignen sich nicht zur Linderung akuter Symptome
Es liegt in der Natur der Sache, dass Retardtabletten auch Nachteile haben. Genauer gesagt: Die verzögerte Wirkstofffreigabe ist nicht in allen Fällen erwünscht und sinnvoll. Bei akuten Symptomen (Schmerzen, Atemproblemen, Engegefühl im Brustkorb) sind retardierte Medikamente keinesfalls das Mittel der Wahl. Die langsame Aufnahme des Wirkstoffs und der spätere Wirkungseintritt sind bei akuter Symptomatik unerwünscht oder sogar kontraproduktiv.
Relativ hoher Preis und Anfälligkeit für First-Pass-Metabolismus
Der Aufwand für die Entwicklung und Herstellung von Retardtabletten ist erheblich größer als dies bei nicht-retardierten Tabletten der Fall ist. Die Folge lässt sich am Preis ablesen: Retardmedikamente sind mitunter deutlich teurer als nicht-retardierte Medikamente mit einem identischen Wirkstoff. Außerdem eignen sich nicht alle Wirkstoffe für eine retardierte Formel – daraus ergibt sich ein weiterer Nachteil: Mangel an Flexibilität. Ein zentraler Nachteil von Retardtabletten ist zudem die Tatsache, dass diese nicht zerteilt werden dürfen. Und: Retardmedikamente sind vergleichsweise anfällig für den sogenannten First-Pass-Effekt. Darunter wird die frühe Metabolisierung des Wirkstoffs im Darm und in der Leber verstanden, bevor das Medikament seine Wirkung am gewünschten Ort entfalten kann (= wirkungslose "Verpuffung" der Dosis).
Retardtabletten teilbar? Diese Gefahren drohen
Laut einer pharmakologischen Untersuchung des Universitätsklinikums Heidelberg wird in Deutschland jede vierte Tablette vor dem Konsum zerteilt – in der Regel halbiert oder geviertelt. Retardtabletten teilen ist aus mehreren Gründen nicht erlaubt. Die Dosismenge in einer Retardtablette ist deutlich höher als in einer herkömmlichen Tablette – typischerweise zwei- oder dreimal so hoch. Zerteilt oder zerdrückt ein Anwender eine Retardtablette, wird die gesamte Dosis auf einmal freigesetzt. Dies kann zu einer Überdosierung führen (besonders gefährlich bei Blutdruckmitteln und starken Schmerzmitteln). Auch für den Magen stellt die Aufnahme der erhöhten Dosis eine Gefahr dar – es drohen Magenschmerzen bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Magengeschwüren. Bei retardierten Opioiden steigt durch die Zerteilung zudem die Suchtgefahr, da ein euphorisierender Effekt eintritt.
Wichtig: Retardkapseln sind beratungsintensive Arzneimittel
Aufgrund ihrer Komplexität und Andersartigkeit erfordern Retardtabletten eine intensive Patientenschulung. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker vor der Medikamenteneinnahme, auf was Sie achten sollen. Er wird Ihnen genau erklären, wann und wie Sie Ihr Medikament zu sich nehmen müssen. Auch wenn Sie bereits Erfahrung mit dem betreffenden Wirkstoff gemacht haben, handelt es sich bei der retardierten Formel um ein völlig neues, eigenständiges Medikament mit eigenem Gefahren- und Nebenwirkungsprofil. Und: Wie bei jedem anderen Medikament gilt auch bei Retardtabletten: Lesen Sie sich vor dem Schlucken unbedingt den Beipackzettel durch und berücksichtigen Sie die dort zu findenden Hinweise.
Bei welchen Erkrankungen kommen Retardtabletten zum Einsatz?
Retardkapseln und -tabletten haben in den letzten Jahrzehnten – analog zur Optimierung der pharmazeutischen Technologie – ihre Marktanteile stetig ausbauen können. Die langanhaltende, gleichbleibend starke Wirkung und das verlängerte Dosierungsintervall sind Vorteile, die mittlerweile bei einer Vielzahl von Medikamenten und Erkrankungen beinahe unverzichtbar geworden sind. Typische Anwendungsbeispiele für Retardmedikamente sind:
- Blutdruck regulierende Arzneimittel
- Hormonpräparate
- Antidepressiva (Selektive Wiederaufnahmehemmer)
- Stark wirksame Analgetika
- Antikonvulsiva/Antiepileptika
Die Einnahme – aufrecht und mit einem großen Schluck Wasser
Die Frage "Wie nehme ich Retardtabletten richtig ein?" lässt sich in wenigen Sätzen beantworten. Zunächst einmal sollten Sie darauf achten, die Tablette als Ganzes und nicht zerteilt einzunehmen. Der Konsum selbst sollte im Stehen erfolgen. Erfahrungsgemäß fällt es den meisten Menschen leichter, die Tablette zu schlucken, wenn der Kopf dabei leicht nach vorne und oben geneigt ist – dies gilt vor allem für voluminöse Tabletten mit einer Wirkstoffmenge von mehreren Hundert Milligramm. Milch und Grapefruitsaft eignen sich übrigens nicht als begleitende Flüssigkeit: Beide Getränke besitzen das Potenzial, die Wirksamkeit Ihres Medikaments zu beeinträchtigen. Stattdessen sollten Sie Ihre Dosis mit 0,1 bis 0,2 Liter Wasser hinunterschlucken.
Anwendung über PEG-Sonde nicht möglich
Für Ärzte und Pfleger sowie für Patienten, die künstlich ernährt werden müssen, ist ein weiterer Punkt von Bedeutung: Retardtabletten sind nicht für eine Applikation per PEG-Sonde geeignet. Der Grund: Sie lassen sich weder mörsern noch zerteilen und passen somit nicht durch die Schläuche einer Sonde. Stattdessen sollten Ärzte, Pfleger und Patienten auf flüssige, PEG-Sonden-kompatible Darreichungsformen zurückgreifen.
Was ist bei der Lagerung von Retardtabletten zu beachten?
Bei der Lagerung von Retardtabletten kommen im Prinzip die gleichen Regeln wie bei der Aufbewahrung von nicht-retardierten Medikamenten zur Anwendung. Lagern Sie Ihre Tabletten idealerweise an einem ausreichend kühlen und trockenen Ort. Der Kühlschrank oder das Gefrierfach sind hierfür ebenso wenig geeignet wie feuchte Badräume. Stattdessen kommt zum Beispiel eine Schublade an einem kühlen Ort im Haus oder im Keller infrage. Außerdem wichtig: Direkte Sonneneinstrahlung kann sich schlecht auf die Haltbarkeit und die Wirksamkeit des Medikaments auswirken – bewahren Sie Ihre retardierten Arzneimittel deshalb unbedingt an einem schattigen Platz auf.
FAQ – Häufig gestellte Fragen zum Thema Retardkapseln und -tabletten
Sind Retardtabletten gefährlich?
Warum soll man Retardtabletten nicht teilen?
Was ist der Sinn der Retardtabletten?
Wie lange wirken Retardkapseln?
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